Samstag, 6. April 2013

„Leading edge?“: Erfahrungen mit einer erfolgreichen amerikanischen Mutter


(Interview aus: "Change Management aktiv gestalten - Personalmanager als Architekten des Wandels", 2. Auflage 2013, Martin Claßen)

„Leading edge?“: Erfahrungen mit einer erfolgreichen amerikanischen Mutter

1. Sie waren nun mehrere Jahre im kalifornischen Headquarter. Changed es sich dort anders als in „good old Europe“?
Zweifelsfrei ist Cisco mit dem Stammsitz inmitten des Silicon Valleys extrem in der amerikanischen Prägung mit allen Stärken und Schwächen. Eine der Kernstärken ist, Veränderungen im Markt frühzeitig zu erkennen und zu beeinflussen. Dies erfordert organisatorisch und strategisch Kraft und Mut, sich ständig neu zu erfinden. In Anbetracht technologischer Entwicklung in der IT-Industrie, die in kurzen Zyklen neue Märkte entstehen und alte verschwinden lässt, ist dies unerlässlich, um Marktführerschaft zu erreichen oder zu erhalten. In einem Umfeld mit der Wettbewerbsdichte und Innovationsintensität eines Silicon Valleys habe ich dies in den vergangenen Jahren sehr spürbar erlebt. Die Begeisterung für neue Trends ist im Valley so groß, dass sich oft gar nicht die Frage stellt, ob man dieser Faszination des Neuen, Veränderten folgt. Es gibt dort eine andere Frage: Ob man etwas wiederholen sollte, obwohl man es doch im Vorjahr schon ähnlich gemacht hat.  Manchmal lauert die Übertreibung: „change for change’s sake“. Für mich als einzigem Deutschen im weltweiten HR-Leitungsteam war eine gewisse, vermutlich kulturell bedingte Hartnäckigkeit oft hilfreich, um sinnvolle Themen auch bis zum guten Ende zu treiben. Ist dies alles nun „leading edge“? Zum Thema Change in meiner Erfahrung: Ja. Es changed sich leichter, weniger reguliert, mit mehr Begeisterung für Veränderung. Behält man auch ein Auge auf die Nachhaltigkeit der angestoßenen Veränderungen, ist dies sehr kraftvoll und eine enorme Chance.

2. Was sind die Lernfelder, bei denen die mitteleuropäische Organisationsentwicklung noch aus US lernen kann?
Das Umfeld für Change ist stark von der Kultur im Land, im Unternehmen beeinflusst. Erlebbar ist hier in den USA sicherlich eine höhere Fehlertoleranz, die zu höherer Risikofreude führt. Karrierebiografien dürfen weniger linear sein. Kann man in einem CV den Mut sehen, Neues, versucht zu haben, so wird dies oft besonders wertgeschätzt. Die Liebe zur zweiten Chance, das Lernen aus Fehlern, der Persönlichkeitsbildung durch das Überwinden von Niederlagen habe ich stärker ausgeprägt erlebt als in Westeuropa. Kreativität kann man nicht verordnen. Gerade in  stark von menschlichem Erfindungsgeist getragenen Industrien wie IT ist ausreichender Freiraum für Innovation businesskritisch. Die USA mit ihre starken Fokussierung auf das Individuum und historischer Abneigung gegen intensiven Einfluss der Staatsmacht, bieten hierfür häufig einen guten Nährboden, der Top-Talenten den Freiraum gibt, den sie brauchen, um ihr Potential und Ihre Ideen zu realisieren. Noch eindrücklicher als der Vergleich mit Europa ist hier der mit China. In den boomenden chinesischen Megacities können Sie überall eine beispiellose, beeindruckende Umsetzungskraft erleben. Die aber in der Enge staatlicher Allmacht oft sehnsüchtig nach Innovation sucht. 

3. Auch Cisco hatte seine Ups und Downs. Was sind die Schlüsselfaktoren von Veränderung im High-tech-Bereich?
Schon in der Unternehmensvision ist Veränderung maßgeblich verankert: „changing the way we work, live, play and learn“ ist das, was Cisco erreichen möchte. Und tatsächlich sind die gesellschaftlichen Veränderungen durch Nutzung des Internets allgegenwärtig. Digitale Bücher und Musik, Videos on demand und als wachsender Standard beim Telefonieren, Flexibilisierung der Arbeitswelt. Veränderung ist Zukunft, ist spannend und positiv belegt. Sicherlich ein Schlüsselfaktor. Im Jahr 2000 war Cisco als Wunderkind des Internetzeitalters im zarten Alter von 16 nach Marktkapitalisierung das wertvollste Unternehmen der Welt. Eine explosive Entwicklung, die es auf Organisationsseite ermöglichte, Veränderungszyklen wie im Zeitraffer beobachten und beeinflussen zu können. Die richtige Balance beim Erwachsenwerden: Wachstumsbegeisterung erhalten und dennoch Strukturen für ein Unternehmen dieser Größe zu schaffen. Gleichzeitig ließ der extreme Erfolg Phasen einstelligen Wachstums schon als Krisen erscheinen, die Interventionen bis hin zu weltweiten Restrukturierungen erforderlich machten. Change in dieser schmerzhaften Form braucht starke Leadership. Mitarbeiter durch solche Phasen mit Ehrlichkeit, Vertrauen, Kraft und guter Kommunikation zu führen, ist vermutlich erst der Ort, wo Leadership beginnt. In der Umsetzung herausfordernd, ist Leadership ein weiterer Schlüsselfaktor. Eigenverantwortung, Transparenz und Vertrauen prägen bei Cisco das Bild. Weltweite Collaboration per Video und weitere internetbasierte Anwendungen zur virtuellen Teamarbeit überwinden kulturelle, geografische und hierarchische Distanzen. Dabei wird das Netzwerk zur universellen Plattform, die Menschen verbindet. Statt einer autokratisch geführten „Belegschaft“ formiert sich bei Cisco eine multinationale Mitarbeiter-Community. In der Ideen ungehindert ausgetauscht und die besten schnell zu marktreifen Lösungen weiterentwickelt werden. Das ist für jedes Unternehmen essentiell, dessen Geschäftserfolg von Marktnähe und hohem Innovationstempo abhängt.

4. Wenn Ihnen eine gute Fee zur Seite stehen würde, die Ihnen einen freien Wunsch zum Change Management zugesteht - welcher wäre dies? Was würden Sie sich für ein noch besseres Change Management unbedingt wünschen?
Wenn ich auf mein eigenes Wertesystem schaue, sind es insbesondere zwei Bereiche, die für mich immer wieder das größte Gewicht haben. Freiheit/Toleranz auf der einen, Ehrlichkeit/ Integrität auf der anderen Seite. Im Unternehmensalltag sehe ich diese in vielfältiger Weise einfließen: Freiraum, Innovation, Kreativität, Freude sowie Verlässlichkeit, Operational Excellence, Resultate, Role Modeling, Klarheit. In diesem Spannungsfeld und in der Hoffnung, dass wirklich gute Feen in der Historie häufig drei Wünsche erlaubt haben, wären dies: Erstens, mehr Führungskräfte mit der Kraft zur begeisternden Vision und Klarheit in der Aufzeichnung des idealen Zieles, des „pictures of perfection“. Zweitens, stärkere Nutzung und Verbreitung von Einbindungsmechanismen mit geringem Geschwindigkeitsverlust (z.B. soziale Medien im Unternehmen). Drittens, die bereits erwähnte Freude an der Veränderung. Change als Chance.



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